2020.10.23 - Grüne fordern nach Rechnungshofbericht Suspendierung des HGM-Chefs
Prüfer des Rechnungshofs stießen unter anderem auf bisher unbekannte Bunker mit Kriegsmaterial. Auch Ministerin Tanner konstatiert Handlungsbedarf.
Ein aktueller Bericht des Rechnungshofs stellt gravierende Mängel und Missstände im Heeresgeschichtlichen Museum fest: Die Prüfer des Kontrollorgans listen darin eine ganze Reihe von Problemen auf. Damit nicht genug, ergab sich im Zuge der Prüfungshandlungen auch noch der Verdacht auf strafrechtlich relevante Tatbestände, die der Rechnungshof an die zuständige Staatsanwaltschaft übermittelte.
In einer ersten Reaktion erklärte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) am Freitag via APA, sie orte "enormen Handlungsbedarf". "Wir werden hier nicht tatenlos zusehen", versprach die Ministerin. Man werde die Direktion des Museums "in Kürze neu ausschreiben und beurteilen, welche weiteren Maßnahmen zu treffen sind".
Grüne pochen auf Konsequenzen
Doch das ist dem grünen Koalitionspartner nicht genug – die Abgeordneten Eva Blimlinger und David Stögmüller empfehlen der Ministerin dringend die Suspendierung des Direktors des Heeresgeschichtlichen Museums. In der Verantwortung für die Missstände im Museum sind für sie auch die Ex-Minister Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Mario Kunasek (FPÖ). Die beiden Grünen wollen nun umgehend das Gespräch mit Tanner wegen personeller Konsequenzen suchen.
"Die festgestellten Missstände in der Leitung des Museums sind so gravierend, dass da wohl kein Weg an einer Suspendierung vorbeiführt", erklärt Kultursprecherin Blimlinger, die sich in ihrer jahrelangen Kritik bestätigt sieht. "Zahlreiche Experten und Expertinnen haben auf die Missstände hingewiesen – hätten sie nur früher in der Aufsichtsbehörde Gehör gefunden", kritisiert sie.
Nach Rechnungshof-Überprüfung der Vorgänge im HGM, wie das Museum kurz genannt wird, von 2014 bis 2018, wobei in Einzelfällen auch die Jahre davor sowie das erste Halbjahr 2019 berücksichtigt wurden, empfiehlt der Rechnungshof, die dortige Organisationsform zu evaluieren. Denn die nachgeordnete Dienststelle des Verteidigungsministeriums sowie der Museumsdirektor stehen unter der Fachaufsicht des Ministeriums.
Zu den beanstandeten Mängeln im Detail: Neben dem Nichtbeachten rechtlicher Vorschriften, etwa bei Auftragsvergaben und Baumaßnahmen, sowie Missständen im Bereich Sammlungen gebe es weder ein Compliance-Management-System noch ein Compliance-Bewusstsein, moniert der Rechnungshof. Er mahnt daher in Abstimmung mit dem Ministerium die Einführung eines solchen Systems ein. Dabei solle die Etablierung einer Antikorruptionskultur auf allen Hierarchieebenen berücksichtigt werden.
Neben den zahlreichen Mängeln in der Führung des HGM kritisieren die Prüfer auch die unzureichende Wahrnehmung der Dienst- und Fachaufsicht durch das Ministerium. Der Rechnungshof empfiehlt dem Ressort aufgrund der Vielzahl der festgestellten Mängel, die Eignung der Organisationsform zu evaluieren und kritisch mit anderen Organisationsformen von Bundesmuseen zu vergleichen.
Briefe von Schiele nicht auffindbar
Angaben zufolge verfügt das Heeresgeschichtliche Museum nämlich über schätzungsweise 1,2 Millionen Sammlungsobjekte. Der Rechnungshof kritisiert hier, dass das Museum keinen gesamthaften Überblick über seinen Sammlungsbestand habe, weil seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und somit seit 75 Jahren – keine vollständige Aktualisierung des Inventars erfolgt sei. Das Heeresgeschichtliche Museum habe bis heute keine vollständige Kenntnis über die Verluste durch Kriegs- und Nachkriegseinwirkungen.
Zudem stellten die Prüfer fest, dass Teile des Sammlungsbestands, insbesondere drei Briefe von Egon Schiele, nicht auffindbar seien. Es handle sich hierbei um eine Korrespondenz Schieles aus dem Frühjahr 1918 mit dem damaligen Museumsdirektor. Drei Sammlungsleiter wissen seit Anfang 2016 über das Fehlen der Briefe Bescheid, sie informierten die Direktion des Museums allerdings nicht.
Fragwürdige Panzerteile
Der Rechnungshof kritisiert in seinem Bericht auch mehrere Missstände rund um die Depots des Heeresgeschichtlichen Museums am Garnisonsstandort Zwölfaxing. Besonders pikant: Die Prüfer stießen im Rahmen der Vor-Ort-Prüfung auf mehrere Bunker – gefüllt mit Panzerersatzteilen unbekannter Herkunft. Laut Direktion des Museums hat man erst durch den Rechnungshof von diesem Bestand an Panzerersatzteilen erfahren. Das Heeresgeschichtliche Museum beantragte noch während der laufenden Prüfung beim Ministerium die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Bediensteten, der über die Schlüssel der Bunker verfügte – insbesondere wegen des Verdachts der "unbefugten Innehabung von Kriegsmaterial".
Grünen-Wehrsprecher David Stögmüller dazu: "Es ist unbegreiflich, dass es ein Depot mit einer funktionsfähigen Maschinenkanone und einem betriebsbereiten Schützenpanzer gibt, von deren Existenz der Direktor angeblich gar nichts wusste, und dass beides lediglich mit einem Vorhängeschloss versperrt war." Wenn solches Kriegsmaterial ungesichert gelagert werde, stelle das eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, vor allem wenn der Verlust nicht einmal jemandem auffalle. "Hier kann es leicht zur Entwendung und damit zum unbefugten Besitz von Kriegsmaterial kommen, und der langjährige Direktor ist für diese Zustände verantwortlich. Die betreffenden Stücke sind sofort zu inventarisieren und sicher zu verwahren", fordert Stögmüller.
Der Rechnungshof empfiehlt dem Museum und dem Ministerium, die Gründe für die Missstände rund um die Depots in Zwölfaxing zu analysieren und Maßnahmen zu ihrer zukünftigen Vermeidung zu setzen, gegebenenfalls auch unter Einleitung straf- und disziplinarrechtlicher Schritte.
Direktor mit vielen Funktionen
Last but not least hatte der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums zur Zeit der Prüfung mehrere Vorstandsfunktionen in Vereinen inne, die dem Museum nahestehen. Der Rechnungshof kritisiert an dieser Stelle, dass mehrere Vereine ohne Genehmigung des Ministeriums ihren Vereinssitz an der Adresse des Heeresgeschichtlichen Museums haben. In der engen personellen, räumlichen und organisatorischen Verflechtung liege "ein Risiko für Interessenkonflikte", wird explizit festgehalten. (Nina Weißensteiner, 23.10.2020)
WEITERE REAKTIONEN
SPÖ für neues Konzept, auch Neos sehen Handlungsbedarf
SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda drängt angesichts der Missstände im Heeresgeschichtlichen auf eine rasche Ausgliederung aus dem Verteidigungsministerium: "Das Bundesheer erbringt wichtige Aufgaben, aber die Führung eines Museums gehört nicht dazu." Die Beteuerungen von Verteidigungsministerin Tanner, sie wolle die Empfehlungen des Rechnungshofes jetzt umsetzen, kommen für Drozda zu spät: "Der Zug ist abgefahren, sie ist gescheitert bei den versprochenen Reformbemühungen für das HGM und sollte das Museum dem Kulturressort übertragen".
Daher erneuerte Drozda seine Forderung, das HGM im Zusammenhang mit dem Haus der Geschichte zu denken. "Es braucht ein völlig neues Konzept, eine neue Leitung, neue Struktur und neue Ressortverantwortung – und das am besten als Teil einer Bundesmuseumsreform nach den Empfehlungen des Weißbuchs".
Rasche Behebung gefordert
Die Neos fordern angesichts des jüngsten Rechnungshofberichts: "Das Verteidigungsministerium muss sich rasch um die Behebung der festgestellten Mängel kümmern". Vor allem im Bereich der Führung sowie des Compliance-Managements bestehe dringender Handlungsbedarf, so der Vorsitzende des Rechnungshofausschusses und Neos-Wehrsprecher Douglas Hoyos.
Zudem ortet Hoyos "ein enormes Kommunikationsproblem": Anders könne er sich nicht erklären, wie Bunker mit Panzerersatzteilen im Bereich des HGM seit 75 Jahren nicht an die zuständigen Behörden gemeldet worden seien. Die strafrechtliche Untersuchung des Tatbestandes sei daher die logische Konsequenz.
Und Neos-Kultursprecher Sepp Schellhorn betonte: "Die Tatsache, dass drei Schiele-Briefe nicht mehr auffindbar sind, oder es auch keine gesamthafte Übersicht über den Sammlungsbestand gibt, zeigt, dass das zuständige Ministerium überfordert sein dürfte". Es wäre daher zu prüfen, ob das HGM in die Bundesmuseen eingegliedert werden sollte".
FPÖ-Wehrsprecher Reinhard E. Bösch forderte "einen vernünftigen und sachlichen Umgang" mit dem RH-Bericht ein. Der Direktor des Heeresgeschichtlichen wollte sich bisher zu den publik gewordenen Vorwürfen nicht äußern. (nw)
( DerStandard.at / Nina Weißensteiner / kl )